Pro & Kontra Präsenzgottesdienste

Teil 2: pro (Lucie U.)

Liebe Lucie, warum hast du dich entschieden, die Präsenzangebote wahrzunehmen?

Ich will Gemeinschaft haben. Und das funktioniert für mich am besten, wenn ich die Leute sehe. Rund um Weihnachten habe ich sehr intensiv gespürt, wie es mir geht, wenn diese Gemeinschaft fehlt: Kinder und Enkel waren wegen einer Corona-Infektion in Quarantäne, so dass ich den Heiligabend erstmals alleine verbrachte. Da fühlte ich mich sehr einsam und kam mir von der Welt abgeschnitten vor. Ich brauche die Nähe zu anderen und will Anteil an den Sorgen, Nöten aber auch positiven Erlebnissen haben, damit ich dafür beten und danken kann.

Wie nimmst du aktuell Anteil am Gemeindeleben? Welche Rolle spielt Gemeinde aktuell für dich und dein geistliches Leben?

Ich besuche die Zusammenkünfte am Sonntag und nehme – dank Unterstützung – am Online-Gebetstreffen teil. Zudem habe ich viele Telefontermine: Ich rufe Leute an, bete mit ihnen oder versuche ihnen Seelsorge zu geben. Manchen schicke ich einen schriftlichen Gruß. Die Gemeinde ist für mich mein zweites Zuhause, meine Familie. Umso mehr schmerzt es mich, dass sich einzelne Familienmitglieder zurückgezogen haben.

Wie/wo tankst du geistlich auf?

Ich habe verschiedene Fernsehsender, in denen ich mir Predigten anschaue – manchmal auch mitten in der Nacht. Jeden Dienstag treffe ich mich mit Birgit Pfeifle. Wir nutzen die Zeit zum Austausch und beten viel: Für die Ältesten, für anstehende Prüfungen oder berufliche Nöte sowie gesundheitliche Herausforderungen von Geschwistern. Wir erleben auch Gebetserhörungen. Das ermutigt mich. Wir bauen uns gegenseitig auf. Das gemeinsame Gebet stärkt die Seele. Und: Wir feiern das Abendmahl gemeinsam.

Was denkst du über Geschwister, die – unter Einhaltung der Hygieneregeln – die Präsenzangebote nicht wahrnehmen?

Natürlich gibt es Menschen, die egal ob mit oder ohne Corona es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zum  Gottesdienst schaffen. Bei anderen frage ich mich, ob sie die Gemeinschaft nicht vermissen? Ich möchte Ihnen sagen: Ihr seid nicht vergessen – lasst doch gerne mal etwas von euch hören oder nehmt die Angebote wahr. Ich selbst habe keine Angst, mich mit Corona anzustecken. Gott hat mein Leben in der Hand und er bestimmt, wann meine Zeit gekommen ist. Holger Stoye sagte vor einiger Zeit in einer Predigt: Der Mensch stirbt nicht an Corona, sondern am Willen Gottes. Das bedeutet natürlich nicht, leichtsinnig zu werden oder Risiken zu unterschätzen. Gleichzeitig wünsche ich mir mehr Mut für persönliche Begegnungen. Wenn wir einkaufen oder zur Arbeit gehen, können wir doch auch zumindest ab und an mal die Zusammenkünfte in der Gemeinde besuchen.

Und was wünscht du dir von Geschwistern, die anders mit der Situation umgehen als du?

Meldet euch doch mal. Ich würde mir wünschen, dass wir die Gemeinschaft wieder neu zu schätzen lernen und die Angebote, die es gibt, stärker wahrnehmen – man muss ja dafür nicht einmal unbedingt das eigene Haus verlassen. Es gibt Gemeindemitglieder, die sich untereinander überhaupt nicht kennen. Ruft doch mal jemanden an, mit dem ihr nicht so viel zu tun habt und erkundigt euch nacheinander; betet füreinander. Wenn jemand sich bei einem meldet, von dem man es nicht erwartet, bereichert das die Seele. Ich würde mir wünschen, dass wir uns viel mehr im Gebet vereinen. Das wäre gerade in einer Zeit wie jetzt so wichtig.

Was denkst du: Wie muss sich Gemeinde/das Gemeindeleben verändern, um auch für die Zukunft und kommende Herausforderungen gut vorbereitet zu sein?

Eine Voraussetzung ist, dass jeder weiß, welche Gaben er von Gott geschenkt bekommen hat. Wir müssen lernen, eigenverantwortlicher zu werden, um Gemeinschaft zu leben. Wir sollten nicht auf die Initiative von anderen warten, sondern selbst aktiv werden. Jeder wird gebraucht in der Gemeinde, um Gottes Reich zu bauen!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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