Anfang Februar waren wir mit unseren vier Kindern mit dem Zug auf dem Heimweg nach Berlin. Wir hatten eine recht späte Fahrt gebucht und waren froh, dass der Zug die anfängliche Verspätung wieder aufholte. Doch dann plötzlich: Streckensperrung. Wartezeit. Wir saßen in Wagen 1, ganz vorne, als plötzlich der Lokführer rauskam. Die Kinder nutzten die Gunst der Stunde und fragten, ob sie mal ins „Cockpit“ könnten – gesagt, getan. Der Lokführer erklärte einige Dinge und die Kinder bezeichneten die verspätete Zugfahrt als „die Beste ihres Lebens“. Alles Schlechte kann etwas Gutes haben.
Einer der herausforderndsten und zugleich ermutigendsten Verse steht in Römer 8,28: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“ Nun ist eine Zugverspätung im Vergleich zu anderen Katastrophen in der Regel keine große Sache, zumal bei der DB wahrlich auch keine Überraschung. Gleichwohl empfand ich es als Geschenk von Gott, dass er uns die Wartezeit im Zug auf diese Weise „versüßte“.
Doch ich würde den Satz auch für weitaus gravierendere Situationen meines Lebens unterschreiben. Das wochenlange Ringen im Gebet um das Leben meiner Mutter hatte trotz aller Dramatik und des traurigen Ausgangs etwas Gutes – es vertiefte die Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Vielleicht verstärkte dies bei mir auch die ohnehin schon vorhandene Empathie und das ausdauerndere Beten für andere Kranke im eigenen Umfeld. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass meine Mutter noch viele Jahre gesund lebt. Wenn ich aber höre, mit welchen Herausforderungen manche Kollegen und Bekannte mit pflegebedürftigen Eltern zu kämpfen haben, bin ich – bei aller Liebe – dann auch froh, dass ihr und mir dieses Thema erspart blieb und sie nun beim Herrn Dauerparty machen darf.
Paulus Aussage ist absolut – er sagt nicht, dass uns die Dinge zum Besten dienen können, sondern dass sie uns zum Besten dienen. Punkt. Mag sein, dass man dies in der Situation nicht sehen kann, vielleicht auch nicht kurz danach – aber allerspätestens in der Herrlichkeit Jesu werden sich die Puzzleteile aller Krisen und Schicksalsschläge wohl zusammenfügen. Daher sollten wir diesen Vers auch in seiner Langfrist-Perspektive sehen und ihn nicht als „Druck“ empfinden, in einer Krisensituation zwangsläufig immer Gottes gute Handeln sehen zu müssen.
Es ist völlig legitim, Gott sein Herz auszuschütten und das eigene Unverständnis über das, was man erleben oder erleiden muss, auszudrücken. Doch zur Demut gehört dazu, sich einzugestehen, dass wir nicht alles verstehen können – und vielleicht auch nicht immer brauchen. Fatal kann es werden, wenn Nichtbetroffene der Person, die in einer Herausforderung steht, diesen Bibelvers „um die Ohren hauen“ – jeder Christ muss mithilfe des Heiligen Geistes für sich selbst verstehen lernen, was dieser Vers in seiner Tiefe für sein Leben bedeutet.
Das Kapitel wird abgerundet mit folgenden Versen: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (Röm 8,38-39)
Weder die Situation, die wir als herausfordernd empfinden, noch unser Umgang damit kann uns von Gottes Liebe trennen. Was für eine Ermutigung!
Tobias-Benjamin Ottmar